Meldung

Wohnen im Berliner Raum - Anregungen zur Verbesserung der Wohnungspolitik

Beschluss des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin vom 9. Oktober 2019

 

I. Wohnen als Menschenrecht

Wohnen ist ein existenzielles menschliches Bedürfnis. Die Wohnung gibt dem Menschen Schutz vor Witterung, Rückzugsraum und Privatsphäre. Darüber hinaus sind Wohnungen ein Ort der Gemeinschaft von Menschen und tragen damit zur Verwirklichung von Grundformen menschlichen Lebens bei. Das Recht auf Wohnen ist als Menschenrecht anerkannt, etwa im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. In Deutschland wird aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip gefolgert, dass der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet ist, für ausreichenden Wohnraum zu sorgen.

Ebenso erkennt die katholische Soziallehre einen besonderen Anspruch auf Wohnen und ein Mindestmaß an sozialer und kultureller Teilhabe an und begründet diesen mit der individuellen Menschenwürde. Bereits Pacem in terris (1963) betont dabei, dass dieser Grundanspruch auf Wohnen und angemessene Lebensführung über das Solidaritätsprinzip auch das Recht auf gemeinschaftlichen Beistand im Falle etwa von Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder Arbeitslosigkeit einschließt.[1]

Dabei sollen diejenigen Individuen und Gruppen, die einen besonderen Schutz vor Diskriminierung oder Unterstützung angesichts besonderer Belastungen benötigen und sich nicht allein helfen können, unterstützt werden. Subsidiarität und Freiheit in Verantwortung schließen dabei auch die Setzung von Regeln zu einer wirklich sozialen Marktwirtschaft ein, die die Kreativität und Verantwortung des Individuums fördern, ohne zugleich die Schutzbedürftigen einem maßlosen Gewinnstreben auszuliefern. Angesichts aktueller Entwicklungen um Immobilienspekulationen rief auch Papst Franziskus zu besonderer Wachsamkeit gegenüber Ärmeren und Schwächeren auf und forderte Regeln, die verhindern, dass Wohnen zu einem exklusiven Recht für Privilegierte verkommt.[2] Die Frage nach einer gerechten Wohnungs- und Mietenpolitik stellt also nach katholischer Auffassung nicht nur den Schutz des Individuums und die Chancen verantwortungsvollen Unternehmertums in den Fokus, sondern auch die Frage nach sozialen Fliehkräften und milieuübergreifendem Zusammenhalt.

Der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin weiß sich ebenso wie andere katholische Institutionen, etwa die Caritas [3], diesen Leitlinien verpflichtet. Auf ihrer Grundlage sollen auf der Basis einer Analyse der Situation in der Stadt Berlin (II.) politische Forderungen (III.) erhoben werden. Dabei ist sich der Diözesanrat bewusst, dass auch die Kirche in Berlin den Umgang mit dem eigenen Immobilienbestand ständig darauf zu prüfen hat, welchen Beitrag sie zur Verbesserung der Wohnungslage leisten kann.

[1] Johannes XXIII, Enzyklika Pacem in Terris (1963), Nr. 6
[2] Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (2013), Nr. 53.
[3] s. Deutscher Caritasverband e.V., Sozialpolitische Positionen zur Kampagne 2018 „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“

 

II. Berliner Wohnungsmarkt

Der Berliner Wohnungsmarkt befindet sich in der Krise. Leidtragende sind vor allem breite Teile der Mittelschicht („Normalverdiener“) sowie Einkommensschwächere. Für diese Gruppen gibt es zu wenige mit ihren Einkünften bezahlbare Wohnungsangebote. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Gründen, von denen einige hervorgehoben sein sollen:

  • Wachsende Stadt: Berlin entwickelt sich immer mehr zur internationalen Metropole, der Zuzug von rund 40.000 Menschen im Jahr ist die Folge. Die meisten Zuwandererinnen und Zuwanderer wandern in die Arbeitsmärkte, haben also relativ gute Einkünfte und können sich eher höhere Mieten leisten.
  • Geldmarktpolitik: Durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank lassen sich Renditen in anderen Märkten schwer erzielen, negative Zinsen zwingen Investoren in vermeintlich sichere Anlagen wie Immobilien. Folge sind stark steigende Immobilienpreise und Baukosten.
  • Zu wenig Wohnungsneubau: Es wurden und werden zu wenige Wohnungen gebaut. Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen ist rückläufig, was für eine deutsche Großstadt eher eine Ausnahme ist.
  • Komplizierte Bürokratie: Die Baugenehmigungsverfahren ziehen sich zum Teil über Jahre hin, insbesondere dann, wenn neue Baugebiete erschlossen werden sollen. Häufig reicht das Personal nicht aus, um die Vielzahl der Vorgänge zu bearbeiten. Darüber hinaus werden ständig neue Baunormen herausgegeben, die häufig ihre Berechtigung haben, aber zur Steigerung der Entstehungspreise von Wohnungen beitragen. Dazu kommt eine weit verbreitete Mentalität von Anwohnern, zwar generell für Neubauten zu sein, sich im Einzelfall jedoch dem Bau vor ihrer Haustür vehement zu widersetzen.
  • Kostenübernahme durch Bauherren: Die Stadt verlangt im Rahmen des „kooperativen Berliner Baulandmodells“ von den Investoren, dass diese Kosten der öffentlichen Daseinsvorsorge übernehmen (Bau von Kindertagesstätten, Straßen, Schulen), die letztlich über die Miete von den Mieterinnen und Mietern zu zahlen sind. Ferner wird von Bauherren verlangt, 30% der Wohnungen zu nicht kostendeckenden Preisen zu vermieten, was in der Regel zu einer Erhöhung der Kosten für die anderen Wohnungen führt.
  • Verkauf von Wohnungen: Öffentliche Wohnungsbestände wurden im letzten Jahrzehnt in Berlin zur Sanierung des Landeshaushalts verkauft, die Bedeutung der öffentlichen Unternehmen hat daher auf dem Markt abgenommen.
  • Zunahme des Flächenverbrauchs: Durch die geänderte Lebenswirklichkeit vieler Menschen ist die Wohnfläche pro Einwohner in den letzten Jahren ständig gestiegen.
  • Sozialer Wohnungsbau: Der Senat ist aus der Anschlussförderung für sozialen Wohnungsbau im letzten Jahrzehnt ausgestiegen. Daher gibt es heute weniger Wohnungen für sozial Bedürftige als in früheren Jahren. Zudem sind viele Wohnungen von Mieterinnen und Mietern belegt, welche die Förderungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllen.
  • Geringe Eigentumsquote: Während im Bundesdurschnitt gut 45 % aller Wohnungen von Eigentümerinnen und Eigentümern bewohnt werden, sind dies in Berlin nur etwas mehr als 14 %, deutlich weniger als in jedem anderen Bundesland. Hohe Erwerbssteuern und Abgaben belasten den Erwerb von Eigentum. Darüber hinaus werden gerade junge Menschen durch ihre Lebenssituation in Berlin wie anderswo in Deutschland vom Erwerb eigener Wohnungen eher abgehalten: Bei einem Arbeitsmarkt, auf dem vor allem Berufsanfänger häufig nur befristete Verträge erhalten und bereit sein müssen, den Arbeitsplatz und möglicherweise auch den Arbeitsort zu wechseln, schrecken hohe Erwerbsnebenkosten vom Eigentumserwerb besonders ab.

 

III. Aufgaben für die Verbesserung der Wohnungslage in Berlin

Wir fordern:

1. Eigentum ernst nehmen

  • Eigentum verpflichtet: Eigentum ist eines der wichtigsten Freiheitsrechte unseres Systems. Allerdings unterliegt Eigentum der Sozialbindung: Es muss nicht nur dem Eigentümer bzw. der Eigentümerin dienen, sondern auch der Gemeinschaft. Das findet heute schon in vielen Gesetzen Ausdruck, etwa in dem sozialen Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das alleine reicht nicht aus. Der Staat ist aufgefordert, bestehende Instrumente wie etwa die Vorschriften über Mietwucher verstärkt anzuwenden und dort, wo die bestehenden Normen nicht ausreichen, gesetzgeberisch nachzubessern.
  • Mietpreisbremse nutzen: Zu den Instrumenten eines sozialen Mietrechts gehört auch eine gut funktionierende Mietpreisbremse. Die fast freie Vereinbarkeit von Mieten bei Neuvermietung war in den letzten Jahren einer der stärksten Treiber für den Anstieg der Mieten.
  • Mietpreisdeckel hilft wenig: Wer Neubau will, braucht Investitionssicherheit. Diskussionen wie diejenige über einen zudem rechtlich sehr umstrittenen allgemeinen Mietpreisdeckel schaden da nur. Darüber hinaus hat gerade Berlin ausreichend schlechte Erfahrungen mit gebundenen Mieten gemacht: Die früher im Westteil Berlins gesetzlich gebundenen Mieten im Altbau haben zum systematischen Verfall der Altbausubstanz geführt.
  • Wohnungsenteignungen schaffen keine Abhilfe: Die Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften stellt Grundpfeiler unserer Verfassungsordnung in Frage, löst aber keine Probleme: Enteignung schafft keine neuen Wohnungen. Wenn Wohnungen zugunsten städtischer Wohnungsbaugesellschaften enteignet und dann günstig vermietet werden, hilft dies nur den Mieterinnen und Mietern der betroffenen Wohnungen und nicht der Allgemeinheit. Dabei werden die Mieter und Mieterinnen dieser Wohnungen begünstigt, gleich ob sie bedürftig sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtig diskutierten Enteignungen auch sozial sehr fragwürdig.
  • Eigentumsbildung fördern: Der Senat wird aufgefordert, die Bildung privaten Wohnungseigentums zu fördern. Eigentum muss grundsätzlich für alle Bevölkerungsschichten erreichbar sein. Die Erwerbsnebenkosten, vor allem die Grunderwerbsteuer, müssen für eigengenutzte Immobilien deutlich verringert werden. Insbesondere für Bevölkerungsgruppen, die sich kein eigenes Wohnungseigentum leisten können, ist der Genossenschaftsgedanke wieder stärker zu beleben. Zwar spielen die Genossenschaften mit rund 160.000 Wohnungen (und damit einem Marktanteil von etwas mehr als 8%) schon eine gewisse Rolle auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Diese ist aber deutlich ausbaubar. Genossenschaften ermöglichen Hilfe zur Selbsthilfe, die Wohnungsnutzerinnen und -nutzer haben die Möglichkeit, über ihre Wohnungen mit zu entscheiden. Die öffentliche Hand sollte daher den Wohnungserwerb und Neubau durch Genossenschaften fördern, und zwar mittels öffentlicher Bürgschaften oder vergünstigter Vergabe von Grundstücken und Erbbaurechten, damit möglichst viele Menschen in wenigstens teilweise eigenen Wohnungen wohnen können.
  • Instandhaltung ernstnehmen: Bei einigen großen privaten Wohnungsunternehmen werden zwar viele Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt, die Instandhaltung der Bausubstanz aber vernachlässigt. Das ermöglicht den Eigentümerinnen und Eigentümern Mieterhöhungen, die scheinbar den Wert der Immobilien steigern. Es sind Mechanismen zu prüfen, die eine Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen ausschließen, wenn Instandhaltung vernachlässigt wird.

 

2. Wohnungen bauen

  • Wohnungsbauflächen verfügbar machen: Neubau hängt vor allem auch von verfügbaren Wohnungsbauflächen ab. Berlin kann sich deshalb weder Tabu-Bereiche noch politische Blockaden leisten. Bebaubare Flächen (z. B. Industriebrachen, nicht mehr benötigte Bahnflächen, Flächen über einstöckig bebauten Supermärkten etc.) müssen sobald als möglich in die Stadtplanung einbezogen werden.
  • Neues Bauland aktivieren: Um das größte Hindernis für den Wohnungsneubau, nämlich die Baulandverknappung, zu beseitigen, muss der Senat so schnell wie möglich neue Baulandflächen für den Wohnungsbau verfügbar machen. Dies sollte vor allem in den Außenbezirken erfolgen.
  • Dachausbau erleichtern: Der Dachausbau muss regelmäßig unbürokratisch genehmigt werden, lediglich in Ausnahmefällen darf eine Genehmigung versagt werden.
  • Verdichtung: Häufig kann schlicht höher gebaut werden. Durch die Ausweisung höherer Grund- oder Geschossflächenzahlen lässt sich dies rechtstechnisch relativ leicht bewerkstelligen.
  • Bauvorschriften vereinfachen: Die Bauvorschriften von Bund und Ländern müssen daraufhin überprüft werden, was vereinfacht werden kann. Nicht alles, was vielleicht wünschenswert erscheinen mag, ist auch tatsächlich sinnvoll. Häufig kostet gerade ein Quäntchen an Verbesserung (z.B. beim Wärmeschutz) unverhältnismäßig viel Geld. Gesetze müssen Wohnbau fördern, nicht behindern. Ferner muss mit gesetzgeberischen Maßnahmen der gezielten Spekulation mit unbebauten Grundstücken entgegengewirkt werden.
  • Ausschreibungen vereinfachen: Die öffentlichen Ausschreibungsbedingungen müssen vereinfacht werden, weil sich insbesondere kleinere Unternehmen an den Ausschreibungen nicht mehr beteiligen können und wollen.
  • Kommunale Aufgaben wahrnehmen: Die Stadt sollte weniger kommunale Aufgaben (Bau von Kitas, Straßen, Schulen) auf private Unternehmen abwälzen, sondern solche Aufgaben wieder übernehmen mit der Maßgabe, dass die Mieten entsprechend niedrig ausfallen.
  • Wohnungsverkleinerung erleichtern: Zuweilen wohnen ältere Menschen in viel zu großen Wohnungen, können aber trotz eigenen Wunsches nach Verkleinerung nicht umziehen, weil kleinere Wohnungen für sie zu teuer wären. Es sind Modelle zu prüfen, wie man älteren Menschen beim Umzug helfen kann oder auch im Bestand Wohnungen teilt, um insgesamt für mehr Menschen Wohnraum verfügbar zu machen.
  • Leerstand bekämpfen: Das Leerstehenlassen von Wohnungen ist noch stärker zu bekämpfen, die Zweitwohnungssteuer für Menschen, die nicht in Berlin arbeiten, sollte noch weiter angehoben werden, um Eigentümerinnen und Eigentümer von wenig genutzten Wohnungen zu ermutigen, die Wohnungen der Vermietung zuzuführen.
  • Umland nutzen: Das Umland von Berlin bietet großes Potential für neue Wohnungen bei hoher Lebensqualität. Die Infrastruktur, insbesondere die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, ist daraufhin zu überprüfen, welche Regionen sich besonders für eine Weiterentwicklung eignen. Zu diesem Zweck ist die Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg und den umliegenden Gemeinden weiter zu intensivieren.

 

3. Verwaltung straffen

  • Schnelle und transparente Verfahren: Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich beschleunigt und vereinheitlicht werden, die unterschiedliche Anwendung und Auslegung von Bauvorschriften von Bezirk zu Bezirk ist abzustellen. Dabei sind die Chancen einer verbesserten Digitalisierung zu nutzen.
  • Genehmigungen ohne Bebauungsplanverfahren: Das Baurecht ermöglicht in vielen Fällen die Erteilung von Baugenehmigungen, ohne dass zuvor ein aufwendiges Bebauungsplanverfahren durchgeführt werden muss. Die entsprechenden Instrumente sind besser zu nutzen.
  • Personal aufstocken: Mit dem derzeitigen Personalstand in den bezirklichen Stadtplanungsämtern und in der zuständigen Senatsverwaltung sind die baulichen Aufgabengebiete nicht mehr zu steuern. Deshalb müssen so bald als möglich neue Stellen für die Bezirke und die Senatsverwaltung geschaffen werden.
  • Personaleinsatz flexibilisieren: Die Anforderungen an die Bauverwaltung variiert von Bezirk zu Bezirk und im Verhältnis von Bezirks- zu Senatsverwaltung erheblich. Der Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss daher flexibler werden, um sie dort zum Einsatz bringen zu können, wo der Bedarf am größten ist.


4. Wohnraum wieder verstärkt öffentlich fördern

  • Sozialer Wohnungsbau: Der Senat muss die öffentlichen Förderwege wieder verstärkt ausnutzen und ausbauen. Dabei darf sozialer Wohnungsbau nicht nur eine Angelegenheit der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sein. Vielmehr wird der Aufbau eines angemessenen Bestandes an sozialen Wohnungen nur gelingen, wenn sich auch Private im sozialen Wohnungsbau engagieren.
  • Förderung Bedürftiger: Neben der Förderung des Baus sollte das Land Berlin zudem für „Normalverdiener“, die in angemessen großen, jedoch relativ teuren Wohnungen wohnen müssen, einen einkommensabhängigen Wohnkostenzuschuss schaffen.
  • Erbbaurechte nutzen: Die Abgabe von städtischen Bauflächen auch an Genossenschaften und private Investoren ist zu ermöglichen, wenn diese die Abgabe im Erbbaurecht und die Verpflichtung zur langfristigen Bindung der Mietpreise akzeptieren.