PRESSEMITTEILUNG
Am 17. Juni 2003 sind fünfzig Jahre seit dem Volksaufstand in der DDR vergangen; dies ist ein Ereignis, das von Zeitgenossen und Historikern zu den wichtigsten Widerstandsleistungen in der deutschen Geschichte gezählt wird. Die Toten, Verletzten und Verhafteten mahnen uns, sich der Bedeutung der Freiheit und der Notwendigkeit des Widerstandes gegen Unrecht zu erinnern, auch wenn das Datum nicht mehr ein nationaler Gedenktag ist. Ohne Erinnerung kann Zukunft nicht gestaltet werden.
Die Volkserhebung in Berlin und in mehr als 250 anderen Orten der DDR hatte zunächst wirtschaftliche Veränderungen zum Ziel, stellte aber rasch weiter gehende politische Forderungen, z. B. die nach freien Wahlen. Die Sicherung der individuellen Freiheiten im Staat, die Gewaltenteilung, die Grundrechte und die unabhängige Gerichtsbarkeit als institutionelle Garantie der Freiheit bilden die Grundlage des gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenlebens in Deutschland. Diese Grundlage ist das Ergebnis einer langen Reihe von Auseinandersetzungen. Das ist heute vielfach in Vergessenheit geraten. Die individuelle Freiheit wird häufig als selbstverständlich angenommen. Doch auch heute müssen die Freiheitsrechte der einzelnen und der Völker gestärkt und durch gemeinsame Anstrengungen erhalten werden. Die Durchsetzung und Gewährleistung der Freiheitsrechte ist eine spezifische Form des Auftrags der Kirche in der Welt und ein integraler Bestandteil der katholischen Soziallehre. In der Respektierung der Menschenrechte liegt das Geheimnis des wahren Friedens (Johannes Paul II. zum Welttag des Friedens 1999). Es gibt keinen wahren Frieden, ohne dass die Würde jedes einzelnen Menschen gewahrt wird, ohne dass politische Freiheiten und menschliche Entwicklungsmöglichkeiten gewährleistet sind (Bischof Prof. Dr. Reinhard Marx).
Wenn die Freiheits- und Grundrechte durch den Staat nicht geschützt oder durch den Staat selbst verletzt werden, wird Widerstand nötig. Die Volkserhebung vom 17. Juni 1953 ist dafür ein wichtiges Beispiel. Es kann uns heute helfen, sensibel zu sein, wo immer die Gefahr besteht, dass die Freiheits- und Grundrechte eingeschränkt werden könnten. Für Christinnen und Christen ist Widerstand gegen Gewalt und Unrecht aber auch eine Konsequenz des Evangeliums im Sinne einer Spiritualität des Lebens. Insofern gibt der 17. Juni 1953 auch der Kirche Anlass, ihr Tun daraufhin zu überprüfen, ob sie sich einer solchen Spiritualität im alltäglichen Leben verpflichtet weiß.
Hans-Jürgen van Schewick
Vorsitzender