BESCHLUSS
Bereits im Jahr 2003, dem Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen, veröffentlichten die deutschen Bischöfe das Wort zur Situation der Menschen mit Behinderungen „unBehindert Leben und Glauben teilen“. Sie bitten darin, „alle in der Kirche und Gesellschaft, die abwendbaren Erschwernisse, denen Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen ausgesetzt sind, abzubauen und neue Diskriminierungen zu verhindern. Die Kirchengemeinden, christliche Gemeinschaften, Verbände und Organisationen wie auch karitative Werke und Einrichtungen sind aufgerufen, im alltäglichen Zusammenleben Orte eines „unbehinderten“ Miteinanders zu sein und so die christliche Hoffnungsbotschaft glaubhaft und heilsam zu verkörpern“1.
Seit März 2009 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland rechtsverbindlich. In ihr konkretisiert sich ein im Wort der deutschen Bischöfe bereits eingeflossenes, neues Selbstverständnis von Menschen mit Behinderung: Nicht ich bin behindert, sondern ich werde behindert, und zwar durch die Rahmenbedingungen des alltäglichen Lebens, die auf meine besonderen Bedürfnisse keine Rücksicht nehmen. Behinderung wird nicht mehr als individuelles Problem des einzelnen „defizitären“ Menschen gesehen. Deswegen verpflichtet die UN-Konvention die Gesellschaft, die Barrieren abzubauen, die Menschen mit Behinderung im alltäglichen Leben ausgrenzen. Zugrunde liegt ein Verständnis von „Inklusion“ in Abgrenzung zu „Integration“. Nicht mehr die Menschen mit Behinderungen müssen sich anpassen, sondern von allen gesellschaftlichen Organisationen sind die Bedingungen so zu ändern, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr ausgegrenzt werden.
Als Kirche stellen wir uns der Aufgabe, auf die Herausforderung von Inklusion Antworten zu finden. Inklusion bedeutet die „volle und effektive Teilhabe“2 jeder Person. Jeder ist eingeladen und eingeschlossen in die Gemeinschaft. Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen gehören selbstverständlich zur Gemeinde. „Inklusive Pastoral ist ein Muss“3. Es gilt nicht nur für Gemeinden, die sich bereits konkret und zum Teil sehr engagiert dafür einsetzen. Sie ist umfassende Aufgabe von Kirche. Dazu braucht es eine Sensibilisierung für Barrieren, die Teilhabe und Teilgabe erschweren oder unmöglich machen. Des Weiteren braucht es Kreativität, Lösungen zur Überwindung zu finden. Soziale Ausgrenzung, die mit einer Beeinträchtigung erfahren werden kann, wird in einer Gemeinde der Vielfalt überwunden.
1 Die deutschen Bischöfe (70) 2003: unBehindert Leben und Glauben teilen. Wort der deutschen Bischöfe zur Situation der Menschen mit Behinderungen, Bonn, S. 24, vgl. auch ZdK-Erklärung „Gemeinsam lernen – Inklusion von Menschen mit Behinderung im Bildungswesen“, 16. Mai 2012
2 Lob-Hüdepohl, Andreas, Ungewohnt normal. Behinderung und das Erfordernis einer inklusiven Kirche, in: Herder Korrespondenz, Nr. 66, 10, 2012, S. 513
3 ebd., S. 514
Konkretionen,
damit das Thema Inklusion in den Gemeinden präsent und im Blick ist:
1. Eine Person des Pfarrgemeinderats ist Ansprechpartner/-in für Menschen mit Behinde-rung, deren Angehörige, lokale Einrichtungen der Behindertenhilfe und weitere Netzwerke.
2. Der schrittweise Abbau von behindernden Barrieren wird verwirklicht.
=> Beispiele: In einer Gemeinde wird der Gemeindebrief auch in Großdruck angeboten. Eine Behindertentoilette, die vorübergehend als Lagerraum diente, wird frei geräumt. Beim Umbau der Kirche wird mit bedacht, wie eine Induktionsschleife an die Mikrophonanlage angeschlossen wird. Bei Gemeindefahrten nehmen auch Menschen mit Behinderungen teil. Ein gehörloses Ehe-paar, deren hörende Kinder zur Religiösen Kinderwoche mitfahren werden, nimmt mit einer Ge-bärdensprachdolmetscherin am Elternabend teil.
3. Die Teilnahme und Vorbereitung zum Empfang der Sakramente wird ermöglicht. Bei be-sonderen Bedürfnissen werden Lösungen gemeinsam entwickelt.
=> Beispiele: In einer Firmgruppe bereichern zwei Jugendliche, die autistische Züge haben, durch ihre speziellen Kenntnisse, die sie zum Teil schriftlich ausdrücken, die Erarbeitung von Themen in der Gruppe. Bei einer Fahrt mit Erstkommunionkindern wird ein Mädchen mit einer geistigen Behinderung durch eine Jugendliche der Gemeinde, die eine Ausbildung im sozialen Bereich begonnen hat, an den Stellen unterstützt, wo sie besondere Hilfen braucht, zum Beispiel wenn sie komplizierte Wörter nicht versteht. Ansonsten nimmt sie selbstverständlich teil. Ihre Fröh-lichkeit steckt andere an.
4. Menschen mit Behinderungen bringen sich mit ihren vielfältigen Gaben aktiv ins Ge-meindeleben ein.
=> Beispiele: Ein Mann, der vollblind ist, liest in der Gemeinde die Lesung in Blindenschrift (Braille) vor. Ein Mädchen mit einer spastischen Beeinträchtigung ministriert regelmäßig im Got-tesdienst.
5. Das Thema ist in den verschiedenen Gruppen und Kreisen, Verbänden der Gemeinde und in allen Altersgruppen präsent. Besonders aktuelle Themen, die Wertefragen berühren, ha-ben hier ihren Platz.
=> Beispiele: Beim Kolpingabend wird zum Themenabend ein Experte zum Thema „Präna-tale Diagnostik“ eingeladen. Mit Jugendlichen gibt es einen Aktionstag „Ich bin einzigartig“, bei dem umliegende Einrichtungen der Behindertenhilfe besucht werden.
6. Das Interesse und der Kontakt mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen und ihren Angehörigen werden gefördert.
=> Beispiele: Eine Mutter von einem schwerstmehrfachbehinderten Sohn erzählt: „Mein Sohn und ich werden hier nicht ausgegrenzt. Seit wir nach unserem Zuzug beim ersten Mal zum Frühschoppen waren, wurden wir gleich angesprochen. Hier fühle ich mich wohl.“
Eine Elterninitiative von Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen kann einmal im Monat die Gemeinderäume nutzen, um sich über ihren Alltag auszutauschen.
7. Der Kontakt zu lokalen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Gruppen für Menschen mit Behinderungen ermöglicht Brücken der Unterstützung und Partizipation.
=> Beispiele: In einer Wohngruppe des Caritasverbandes, die zur Pfarrei gehört, leben Menschen mit Mehrfachbehinderung. Einige von ihnen gestalten voller Begeisterung das Krippen-spiel mit. Die Ansprechpartnerin für Menschen mit Behinderung des Pfarrgemeinderates hält den Kontakt zur Einrichtung. Im Kontakt mit dem Behindertenbeauftragtem des Bezirkes erhält sie per Email regelmäßig Informationen über andere Gruppen in der Umgebung wie den Sehbehinderten-verband oder die Schwerhörigenselbsthilfegruppe.
8. Gemeindekitas sind offen für Kinder mit Behinderungen.
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Ansprechpartnerin für weitere Informationen:
Sr. Monika Ballani MMS Erzbischöfliches Ordinariat Berlin
Referat Seelsorge Menschen mit Behinderungen Niederwallstraße 8-9, 10117 Berlin Email: monika.ballani@erzbistumberlin.de Tel: (030) 326 84-528, Fax: (030) 326 84- 75 28