Im Gespräch erklärt Michael Haas-Busch, Vorsitzender unseres Sachausschusses "Migration und Integration", warum Familienzusammenführungen für Menschen mit Fluchterfahrung wichtig sind. Er kritisiert mangelnden politischen Willen, unbürokratisch und zügig Familiennachzüge zu ermöglichen. Und er erneuert den Wunsch an unser Erzbistum, seinen Flüchtlingsfonds so umzugestalten, dass Familienzusammenführungen daraus finanziert werden können.
Im Juni fand der fünfte katholische Flüchtlingsgipfel mit dem Schwerpunktthema Familienzusammenführung statt. Mit diesem Anliegen beschäftigt sich auch der Sachausschuss „Migration und Integration“ des Diözesanrats. Können Sie kurz erklären, was damit genau gemeint ist?
Familienzusammenführung oder -nachzug bedeutet, dass Menschen, die eine Anerkennung des Asyls und dadurch einen Aufenthalt in Deutschland bekommen haben, auch ihre direkten Angehörigen zu sich holen dürfen. Dabei geht es zunächst um Ehegatten, Kinder oder – im Falle von minderjährigen Geflüchteten – Eltern. Selten kann eine ganze Familie im Verbund vor Krieg und Krisen flüchten - bisweilen werden sie in den Kriegswirren getrennt, einzelne Mitglieder verschleppt oder eine Familie entscheidet aufgrund der hohen Kosten bzw. der Gefahren auf dem Weg, dass ein Mitglied vorangeht. Oft bleiben die anderen Mitglieder in Flüchtlingslagern eines Nachbarstaates zurück, im Fall von Syrien z.B. Libanon oder Jordanien.
Weshalb ist gerade dieses Anliegen so wichtig?
Alle, die mit geflüchteten Menschen zu tun haben, sind sich einig: Die Wiederherstellung der Einheit der Familie der wesentlichste Faktor für die Kompensation von Verlust, die Heilung von erlebten Traumata und schließlich die Integration in einer anderen Gesellschaft. Das gilt besonders für Kinder. Kein Mensch kann sich etwa auf das Lernen einer neuen Sprache, Behördenangelegenheiten oder die Suche nach einer Arbeit konzentrieren, wenn er täglich um das Leben seiner Liebsten fürchten muss. Genau das verlangen wir als Gesellschaft aber von geflüchteten Menschen und wundern uns, warum das alles so lange dauert. Davon abgesehen ist die Familie ein grundgesetzlich geschütztes Gut. Sie wird zu Recht als „kleinste Zelle der Gesellschaft“ bezeichnet, ist der Ort, wo soziales Lernen stattfindet. Umso mehr sind zu uns geflüchtete Menschen auf ihre Familien angewiesen!
Welchen Handlungsbedarf sehen Sie in Politik und Gesellschaft?
Erst einmal wären ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit und der politische Wille zur Familienzusammenführung grundlegend. Der Familiennachzug ist hoch bürokratisch und läuft schleppend, so dass nicht einmal die zugesagten 1.000 Visa bei der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten pro Monat umgesetzt werden. Mein Eindruck ist auch, dass die Corona-Pandemie hier ein willkommener Anlass war, um das Verfahren komplett einzustellen. Seit Juli 2020 ist das wieder möglich – unter strenger Fristsetzung für die Neuerteilung abgelaufener Visa. Hier würde ich mir weniger Hürden und mehr Menschlichkeit wünschen. Auch der streng eingegrenzte Familienbegriff bildet nicht die Realität vieler Herkunftsländer ab. Was ist mit Geschwistern, Tanten, Großeltern? Sie sind ebenfalls selbstverständlicher und stützender Teil der Familie.
Was die Gesellschaft als Ganze angeht, halte ich es für wichtig, für ein Klima des Willkommens zu sorgen. Persönliche Begegnungen und Kontakte sind für neu angekommene Menschen der beste und direkteste Weg, um Teil der Gesellschaft zu werden. Zudem ist die Begleitung von Familien in den Dingen des Alltags weiterhin notwendig und sinnvoll, von Behördenangelegenheiten bis hin zur Freizeitgestaltung. Kirchengemeinden bieten dafür im Übrigen eine sehr geeignete Infrastruktur!
Erzbischof Stefan Heße, der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen, hat kürzlich betont, dass sich jeder Diözesan-Bischof „auf seine Weise in seiner Diözese“ für den Familiennachzug einsetzen wird. Wie sieht dieses Engagement mit im Erzbistum Berlin aus?
Zum Gipfel wurden die Zahlen zum kirchlichen Engagement für Geflüchtete aus 2019 veröffentlicht, die zuvor in den Bistümern erhoben worden waren. Im Erzbistum Berlin wurden letztes Jahr 43 Familien zusammengeführt; insgesamt zogen 141 Personen, davon 94 Kinder, nach. Dies unterstützten Dienste der Caritas und anderer katholischer Beratungsstellen. Zudem legte der Caritasverband einen eigenen Fonds zur finanziellen Unterstützung von Familienzusammenführungen auf, aus dem knapp 15.000,- € an Familien geflossen sind. Vereinzelt haben sich auch Kirchengemeinden um Familien gekümmert und teilweise den Prozess der Zusammenführung begleitet.
Es läuft aber auch stets Lobbyarbeit für die Thematik, etwa durch die Katholischen Büros in Richtung der Politik oder die Caritas im Hinblick auf eine bessere Ausstattung der Landesprogramme bzw. die Ausweitung der Möglichkeiten humanitärer Einreisen auch jenseits der Familienzusammenführung.
Welche konkreten Schritte könnte das Erzbistum gehen, um Familienzusammenführungen zu unterstützen?
Zum einen wäre eine finanzielle Unterstützung aus dem Flüchtlingsfonds des Erzbistums für Kosten, die im Rahmen von Familienzusammenführungen entstehen, eine große Hilfe. Der zu 100 % spendenfinanzierte Fonds des Caritasverbandes wurde aufgebraucht und besteht seit diesem Jahr nicht mehr. Es kann nicht sein, dass bewilligte Familienzusammenführungen an fehlendem Geld für Flugtickets scheitern! Wir haben dazu konkrete Vorschläge gemacht, wie das ausgestaltet werden könnte, ohne die Kosten explodieren zu lassen.
Zum anderen wird bisweilen eine ideelle Unterstützung der Thematik durch die Bistumsleitung vermisst. Die grundgesetzlich verankerte und in der Pastoral immer wieder betonte Förderung der Familie in ihren mannigfaltigen Funktionen wird selten mit der Zusammenführung geflüchteter Familien in Verbindung gebracht. Akteure in Kirchengemeinden fühlen sich vor Ort mit der Not der getrennten Familien oft allein gelassen. Dabei verfügt die Kirche auch im Erzbistum Berlin über ein großes Netzwerk und eine Infrastruktur, für die sie von vielen zivilgesellschaftlichen Partnern in dem Feld bewundert wird! Es wäre wünschenswert, dieses Potenzial mehr auszubauen etwa durch ermutigende Worte, Aufrufe oder pastorale Leitlinien, die u.a. darauf verweisen, dass die Verantwortung der Kirche für das Wohl von Familien unabhängig von deren Religion gilt.